Eine Filmkritik von Bianka Piringer
Autos stehlen für die Freiheit im Kopf
Gerade aus dem Knast entlassen, wirft Jesus Quintana (John Turturro) die Bedenken seines Kumpels Petey (Bobby Cannavale) über Bord. „Wir sind auf Bewährung!“, wandte dieser ein, aber Jesus braucht ein Auto, und so leihen sie sich ungefragt eines aus. Als sie es zurückbringen, schießt der aufgebrachte Eigentümer und Hairstylist Paul Dominique (Jon Hamm) dem flüchtenden Petey in den Schritt. Das sieht zwar schlimm aus, hindert die beiden Outlaws aber nicht daran, sich auf einen abenteuerlichen Roadtrip zu begeben. Marie (Audrey Tautou), die Angestellte und Geliebte von Paul Dominique, schließt sich ihnen spontan an.
Wem der Name Jesus Quintana bekannt vorkommt, irrt nicht: John Turturro spielte diese schillernde Nebenfigur in The Big Lebowski der Brüder Joel und Ethan Coen. Nun bekommt das Bowlingtalent mit Knasterfahrung sozusagen ein Spin-off in Jesus Rolls, bei dem Turturro auch die Regie übernahm und das Drehbuch schrieb. Dieses wiederum basiert auf Bertrand Bliers Roman Les Valseuses, den Blier selbst 1974 unter dem gleichnamigen Titel verfilmte – auf Deutsch heißt die Anarcho-Komödie Die Ausgebufften. Turturros Charakter und sein neues Abenteuer haben also zwei geistige Vorbilder. Turturros Werk kann sich zudem in die große amerikanische Tradition des Roadmovies einreihen und von ihrem Glanz ein wenig profitieren.
Jesus und Petey sind liebenswerte Verlierer und zugleich Lebenskünstler, die schlecht altern. Sie wären mit Sex, Bowling und gestohlenem Geld für ein einfaches Leben schon ganz zufrieden. Ihre Einfalt kann possierlich und possenhaft wirken, und obwohl sie an jeder Ecke Autos klauen, hat ihre Vorstellung von grenzenloser Freiheit etwas Gestriges, und ihr Antrieb weist Abnutzungserscheinungen auf. Dennoch teilt sich das glimmende Feuer der Handlung in schön fotografierten Momenten mit, etwa in der Szene mit dem weiten Abendhimmel über dem Motel, in dem Jesus und Petey gleich tollen Sex mit Jean (Susan Sarandon) haben werden. Jesus hatte die Frau extra vor dem Gefängnis abgepasst, weil er vermutete, dass eine aus langjähriger Haft Entlassene besonders feurig im Bett sei. Weil sie Marie nicht zum Orgasmus bringen konnten, lastete nämlich ein unschöner Makel auf dem Selbstbewusstsein von Jesus und Petey. Die Filmatmosphäre kombiniert lockere Leichtigkeit mit wilder Freiheitsliebe. Eine Tanzszene in der Bowlinghalle fügt sich da gut ein, ebenso die Musik von Émilie Simon und Songs der Gipsy Kings und von Sophie Auster.
Aber von der inspirierenden, fröhlichen Kreativität, die Turturro mit dem großartigen unter Beweis stellte, ist dieser Film doch weit entfernt. Er leidet wie so viele Remakes darunter, dass die fehlende Originalität der Geschichte ihre Schlüssigkeit und Aussagekraft beeinträchtigt. Turturro hat beispielsweise viel Aufwand betrieben, um den aus heutiger Sicht unerträglichen Sexismus, die fast durchgehend übergriffige Haltung Frauen gegenüber, die Die Ausgebufften noch als Provokation gegen das Spießbürgertum servieren konnte, zu vermeiden. Marie erhält keine Ohrfeige und wird nicht so ekelhaft angemacht wie im Original, vielmehr darf sie die beiden Männer auch mal beschimpfen, genau wie eine junge Frau, die Jesus beim Bowling abblitzen lässt. Aber solchermaßen von Misogynie entlastet, findet die Geschichte dennoch keine eigene Erdung. Dafür bleiben alle Figuren in ihren Konturen und Motivationen zu vage.
In der französischen Version sorgt die Episode mit der von Jeanne Moreau gespielten Haftentlassenen, die wesentlich älter als die beiden von Gérard Depardieu und Patrick Dewaere gespielten Aufreißer ist und sie praktisch an die Hand nimmt, für einen Wendepunkt voller Erotik. Susan Sarandon spielt diese Rolle bei Turturro auch sehr gut, aber die Erotik hat keine Chance, man müsste sie sich denken, weil Regie und Kamera davor zurückscheuen. So wird einem möglichen filmischen Höhepunkt das Prickeln genommen. Und Turturro kann auch nichts mit Bliers Szene anfangen, in der die jungen Taugenichtse einer Familie auf einem Ausflug das Auto klauen und die von Isabelle Huppert gespielte Tochter die Chance ergreift, ihren Eltern zu entfliehen. Er lässt einen solchen Autoklau trotzdem vorkommen, allerdings ganz beiläufig, ohne die Rebellion der Tochter, die ja ursprünglich der eigentliche Reiz dieses Ereignisses war. Auch den Charakter Jesus aus The Big Lebowski glättet Turturro nachträglich. Zumindest erklärt er ziemlich halbherzig, dass seine Verurteilung als Päderast irgendwie auf einem Missverständnis basierte.
Wer ein bisschen filmische Outlaw-Atmosphäre sucht und die Freiheit des Unterwegsseins mit Typen genießen will, die sich der Gesellschaft verweigern, findet passable Unterhaltung. Der rebellisch-anarchische Ehrgeiz, den die Geschichte beansprucht, ist dabei aber doch ziemlich gedämpft, weil Turturro zugleich auch immer wieder den Hafen der Harmlosigkeit ansteuert.
Der Bowler Jesus Quintana (John Turturro) ist zurück in einem Spin-off von „The Big Lebowski“.